ReiseBerichte | Polen


„Hier ist Gleiwitz“

Vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen. Einer der letzten Aktionen, die den Angriffskrieg rechtfertigen sollten, war am 31. August 1939 der fingierte Angriff auf den Sender Gleiwitz.

Szobiszowice heißt der heutige Stadtteil im Norden von Gliwice (früher: Gleiwitz), in dem sich die legendäre Sendeanstalt befindet. Unübersehbar markiert der 118 m hohe Sendemast den Standort, der welthistorische Bedeutung erlangte.


Historische Radiostation in Gliwice-Szobiszowice


Rückblende. August 1939. SS-Sturmbandführer Alfred Naujocks quartiert sich im Gleiwitzer Hotel „Haus Oberschlesien“ ein. Sein Auftrag, den er am 10. August vom Chef des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS Reinhard Heydrich erhielt, lautet: Einen Anschlag durch Polen auf die Gleiwitzer Radiostation vorzutäuschen. Dazu hatte ihm Heydrich erklärt: „Ein tatsächlicher Beweis für polnische Übergriffe ist für die Auslandpresse und für die deutsche Propaganda nötig.“


Dieser provozierte Angriff lief unter dem Tarnnamen „Tannenberg“. Und Naujocks wartete mit einer Handvoll SS-Leuten auf das Codewort zum Losschlagen: „Großmutter gestorben“. Das kam per Telefon am 31. August gegen 16 Uhr. Vier Stunden später stürmte Naujocks mit fünf Maschinenpistolen bewaffneten Zivilisten das Objekt. Die eingeweihte Wachmannschaft stellte dabei kein Hindernis dar. Im Betriebsraum des Senders wurden die vier Mitarbeiter überwältig und gefesselt in den Keller gebracht. Kurz darauf wurde das reguläre Radioprogramm unterbrochen. „Achtung, Achtung! Hier ist Gleiwitz“, verkündete ein Sprecher in Deutsch und Polnisch. Er informierte, dass der Sender nun in polnischer Hand und „die Stunde der Freiheit“ gekommen sei. „Hoch leben Polen!“, endete diese knapp vierminütige Inszenierung.


Antennenturm aus Lärchenholz

Der Sender Gleiwitz wurde am 15. November 1925 als Relaisstation eröffnet. Doch von dort wurde nie ein eigenes Programm ausgestrahlt, sondern das Radiosignal vom Reichssender Breslau (heute: Wrocław) übernommen. Am Vorabend des Weihnachtstages 1935 wurde der neue 110 m hohe Funkturm mit seiner 8 m großen Antennenspitze eingeweiht. Es ist eines der interessantesten Technikdenkmäler in der Region. Denn das als „Schlesischer Eiffelturm“ bezeichnete Bauwerk besteht komplett aus Lärchenholz. 16.000 Messingschrauben halten die in Europa höchste Holzkonstruktion zusammen. Zweimal jährlich werden diese nachgezogen, damit das Technikdenkmal erhalten bleibt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte Radio Katowice bis 1950 diese Station an der ulica Tarnogórska 129 für die Mittelwellenprogramme. Dann fungierte die Anlage bis etwa Mitte der 1950er Jahre als Störsender für „Radio Belgrad“, „Radio Free Europe“ und „Radio Vatikan“. Bevor das Museum Gliwice dort 2005 eine Außenstelle errichtete wurden in den Räumen der Anlage Antennen und Radioteile hergestellt und getestet. 2009 ließ die Stadt das Gelände um den Funkturm, der von vielen Positionen der Stadt gut sichtbar ist, neugestalten. Das brachte dem Areal den Titel „Bester öffentlicher Raum der Wojewodschaft Śląskie 2010“ in der Kategorie „Städteplanung“ ein. Und seit dem 15. März 2017 steht diese historische Radiostation in Gliwice-Szobiszowice auf der Liste der Geschichtsdenkmäler in Polen.


Blick in die Ausstellung

Während der kleine Park rund um den Holzturm täglich von 6 bis 20 Uhr besucht werden kann, ist das Museum für Rundfunkgeschichte und Medienkunst im ehemaligen Senderhaus dienstags bis freitags von 10 bis 16 Uhr sowie am Wochenende von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Neben der Dokumentation der Ereignisse von 1939 ist dort die alte Rundfunktechnik zu sehen. Parken können Besucher unmittelbar am Turmpark in der ulica Lubliniecka 44 oder auch direkt auf dem einstigen Rundfunkgelände an der ulica Tarnogórska 129.


Text und Fotos: Herbert Schadewald | März 2019





Eine Gedenktafel an die Überfallprovokation am 31. August 1939